Zu den Arbeiten
Inhaltlich ist den nachstehenden Arbeiten die vordergründige Absurdität gemeinsam; überdies zeugen sie aber sowohl von einer offenen Selbst- als auch Gesellschaftskritik. Durch die formale Reduktion und den dadurch erzeugten Minimalismus bildet die Aussage den Schwerpunkt.
Die zum Teil ausweglos erscheinende Absurdität der dargestellten Handlungen, das auf wenige Minuten konzentrierte Groteske, das zum Schmunzeln verleitende Komische bilden den Kern, sind jedoch desgleichen Motor zu Weiterem: Die Sinnhaftigkeit menschlichen Strebens und Handelns wird in Frage gestellt. Die unternommenen Anstrengungen, unabhängig davon, welche Absichten oder Zielvorstellungen dahinter stehen, scheinen zu nichts und nirgendwohin zu führen, die Qualen und jegliche Suche nach einem tieferen Sinn umsonst zu sein. Alles dreht sich ständig im Kreis wie der Hund, der sich in den eigenen Schwanz beißt. Je eifriger, je beharrlicher, je entschlossener der Tatendrang desto abwegiger und widersinniger das Ergebnis. Es entsteht das Gefühl, ständig gegen eine Wand zu rennen, sich die Tür vor der eigenen Nase zuzuschlagen, sich den Ast abzusägen, auf dem man sitzt - und doch immer am gleich Platz stehen zu bleiben und in die Monotonie der Routine zu verfallen.
Einförmig und einheitlich fühlt sich die Gesellschaft an, die dahinter steht, aus der die Starrheit des Einzelnen hervorgeht: Dieser Gesellschaft zu trotzen oder ihr zu entsprechen macht keinen Unterschied, denn jedwede Hingabe oder Leidenschaft, Überzeugung oder Begeisterung führen zu einem bizarren Sich-Abmühen.
Aber gerade dieses im ersten Moment Sinnlose und Absurde, die Hartnäckigkeit, von dem, der sich immer auf der gleichen Stelle bewegt, die Unbeugsamkeit seiner Absicht, die Übersteigerung der Absurdität durch sich selbst geben Anstoß zu Neuem, werfen Fragen auf, zweifeln Realitäten an, zwingen Dinge zu überdenken.
Text: Dr. Helga Tschurtschenthaler
Welcome – Willkommen – Benvenuti
Benvenuti nel mondo di Felix Tschurtschenthaler, nato e cresciuto a Sesto, andatosene dal paese per qualche anno, prima oltre i passi dolomitici in Val Gardena dove frequentava la scuola per scultori in legno, poi oltre confine in Germania all’Accademia delle Belle Arti di Monaco. Da lì è tornato a Sesto e ci vive come artista e guida alpina. Ma in qualche modo fa tuttora il frontaliero tra due mondi, quello dentro e quello fuori. E questa mostra bisogna guardarla proprio sotto questo aspetto, cioè sotto l’aspetto del binomio microcosmo/macrocosmo. Con le sue opere Felix fa vedere che l’ambito di ciò che conosciamo, con il quale siamo cresciuti, è nient’altro che la riproduzione in scala dell’entità più grande, universale di ciò che a volte ci sembra estraneo e ostile. Queste due realtà, queste due entità per via della loro somiglianza formano un insieme indivisibile. Il microcosmo esiste in rapporto al tutto, esiste in rapporto al macrocosmo.
Das Begriffspaar Mikrokosmos/Makrokosmos verweist in seiner Entstehung auf ein sinnvoll geordnetes Universum. Weil die beiden Einheiten in Beziehung zu einander stehen und das Große sich im Kleinen sowie das Kleine sich im Großen spiegelt, innen wie außen und außen wie innen ist, kann man die Erkenntnis aus einem Teilbereich auf das Ganze übertragen.
Über der Idylle der Miniaturansichten schweben weltweit wahrnehmbare Gefahren wie Klimawandel, Terrorismus und globaler Kapitalismus. Die Aufnahmen der heimischen Berge bilden einen lediglich klischeehaften Hintergrund für Gedanken des Sich-Abgrenzens, des Sich-Verbarrikadierens: Die Sicht auf die imposanten Gipfel des Zwölferkofels und der Drei Zinnen ist verdeckt durch orange Schutzzäune, in fetten Pinselstrichen aufgemalte Anarchiesymbole oder befremdende Schriftzüge.
La realtà di ciò che conosciamo, la natura, il paesaggio, le montagne che sono l’insegna della pubblicità per questo posto, ma anche i simboli religiosi tipici della zona nelle foto qui in mostra viene contrapposta, quasi disturbata da ciò che ci sembra estraneo, diverso, ciò che rappresenta l’altro: lo si può trovare nel ratto che sorveglia un gruppo di sciatori, oppure nella scritta in caratteri strani, o nel titolo dell’opera “Inshallah”.
Und es scheint sich genau um diesen kritischen Punkt der Grenzziehung zwischen Eigenem und Fremden zu handeln, worüber der Betrachter sich Gedanken machen soll.
Sembra essere questo l’aspetto sul quale riflettere: il recinto tra noi e l’altro, tra realtà conosciuta e protetta e il pericolo incombente da fuori.
Cos’è che non conosciamo, non capiamo, non sappiamo gestire? Cos’è che ci irrita?
Was stört uns und wovon fühlen wir uns bedroht? Was ist es, das wir schützen wollen und inwiefern grenzen wir uns ab indem wir das andere ausgrenzen? Wovor wollen wir die Postkartenansicht unserer Welt bewahren, indem wir sie durch Grenzzäune und Schutzwände zu verteidigen versuchen?
Sicherlich, Abgrenzungen in Form von Zäunen und Mauerwerk schaffen Ordnung, trennen Bereiche räumlich voneinander, zeigen Besitzverhältnisse auf. Allerdings, was als Zaun beginnt, endet schnell als Mauer – und das tagespolitische Geschehen bestätigt dies nicht erst seit Trump Präsident der Vereinigten Staaten wurde.
Während Hausmauern Schutz vor Kälte, Wind und Wasser bieten und uns vor wilden Tieren schützen, hindern Mauern der physischen Grenzziehung sowie Mauern im Kopf Menschen daran, sich frei zu bewegen.
Recinti, muri e delimitazioni, sì ci proteggono, ma ancora di più ci limitano nel movimento.
Absperrungen und Barrieren grenzen uns ein und grenzen andere aus. Mikrokosmos und Makrokosmos sind im ständigen Austausch begriffen, beruhen auf dem Wechselspiel von Vergleichen, von Entsprechungen und Analogien, aber auch auf dem Erkenntnisgewinn, wenn die Harmonie einmal nicht gegeben ist und wir stutzig werden. So wie die idyllische Welt vermeintlich heil und unbeschadet ist, ist auch das Fremde, die große Welt, die über uns hereinzubrechen scheint, nur scheinbar anders und bedrohlich. Denn – tutto il mondo è paese, und dort, wo man sich begegnet, dort wo das Andere willkommen ist, dove l’altro è benvenuto e ci si incontra, sind wir in erster Linie Mensch.
Deshalb: Willkommen – Benvenuto - Welcome world!
Text: Dr. Helga Tschurtschenthaler
WARUM – Kunstaktion
Eingebettet in die Sextner Sonnenuhr, dem schlechten Wetter trotzend, startet Felix Tschurtschenthaler eine Kunstaktion in der Tourismushochburg Sexten. Das Datum, 28. Juni 2014, ist geschichtsträchtig: Zum einen ist es der 30. Todestag des in Sexten geborenen Historikers und Journalisten Claus Gatterer1. Zum anderen jährt sich das Attentat von Sarajewo zum hundertsten. Mal. Und schließlich wird das Herz-Jesu-Fest gefeiert, an dem die Tiroler grenzüberschreitend eines jahrhundertealten Schwures auf die Treue zu ihrem Vaterland gedenken.
Im schönen Dorf mit den bösen Leuten, im Sexten Himmel also, gibt es nicht nur zwei Talseiten, die einander gegenüberstehen und an Kontrasten nicht reicher sein könnten: die österreichisch-italienische Staatsgrenze auf der einen und die Sprachgrenze zwischen Deutsch und Italienisch auf der anderen Seite. Im Dorf Sexten, perché tutto il mondo è paese, stehen sich auch Meinungen, Haltungen, Werte und Zukunftsvisionen gegenüber. Da treffen Vertreter des Massentourismus auf bergidyllische Naturromantiker, da bekriegen sich Liftbefürworter und Liftgegner, da tummeln sich ewig Gestrige und hartnäckig Morgige, standhaft Gläubige und unerschütterlich Zweifelnde, Denkende, Nicht-Denkende und Anders-Denkende. Die soziale Plastik umfasst außerdem den Konflikt zwischen den Kleinen und den Großen, den unscheinbaren Randgruppen und den offensichtlich Mächtigen, den stets Konformen und den unbeirrt Kritischen. So ein Dorf ist ein Mikrokosmos der Gesellschaft.
Felix Tschurtschenthaler stellt ein brennendes Fragezeichen mitten ins Herz der Sextner Berge und fragt „WARUM“. Er hält der Gesellschaft einen Spiegel vor und regt sie an nachzudenken, zu hinterfragen, zu zweifeln. Wo bleiben die unscheinbaren Randgruppen und Minderheiten in unserer Gesellschaft? Wie gehen wir um mit jenen, die anders sind, anders denken, anders handeln? Welche Werte, Haltungen, oder Meinungen vertreten oder schützen wir? Welche Ziele verfolgen wir? Welchen Geistern und Moden vertrauen wir? Welche Antworten geben wir? Welche Fragen stellen wir? Warum tun wir das, was wir tun? Was bleibt? – ein feuriges, ein fackelndes Fragezeichen.
1 Claus Gatterer (27. März 1924, Sexten – 28. Juni 1984, Wien): Journalist, Historiker, Dokumentarfilmer. In den 60iger und 70iger Jahren Ressortleiter Der Presse und Chefredakteur der ORF-Sendereihe teleobjektiv. Eines seiner bekanntesten Werke ist der in den 1920iger Jahren in Sexten spielende Roman „Schöne Welt, Böse Leut: Kindheit in Südtirol“ (1969).
Text: Dr. Helga Tschurtschenthaler
Bergkultur
Cultura d’alta quota
Maestose gru al posto di pie croci, rombanti impianti di risalita al posto di fruscianti ruscelli, efficiente servizio a catena al posto dell’idilliaca veduta da cartolina: Felix Tschurtschenthaler, in modo ironicamente estetico, rompe con i consueti punti di vista. Al di là della natura intatta e della neve fresca e al di là del fascino delle montagne, indirizza lo sguardo su ciò che non si vorrebbe vedere invitando lo spettatore a guardare più da vicino invece che girare lo sguardo da un’altra parte.
Bergkultur – cultura d’alta quota
Die Einsamkeit der Natur spiegelt sich in märchenhaft glitzernden Bergseen.
Die beeindruckende Stille filigraner Gebirgsketten und dunkler Wälder lädt zum Träumen ein.
Die von Rissen durchzogenen Nordwände,
der vom Wasser zerfressene Felsen,
die markanten Spitzen
ragen weit über die dichte Wolkendecke hinaus und
glänzen im ersten Morgenrot –
Naturgewalt.
Abseits von Lärm und Trubel,
ohne Handyempfang
dringt nur das Plätschern des Wassers und das Krächzen der Bergdohlen durch.
Der Wind kitzelt auf der Haut.
Der Nachgeschmack roter Walderdbeeren
lässt Kindheitserinnerungen wach werden.
Antichi sapori
e preziose memorie si confondono tra le roccie e il cielo.
Le vette famose custodiscono
antiche tradizioni ed importanti eventi storici nella loro incomparabile bellezza –
tra boschi e valli d’or.
Herrliche Berge, sonnige Höhen: do gfrait si mei Gmiat!
Maestose gru al posto di pie croci - majestätische Baukräne statt frommer Gipfelkreuze,
rombanti impianti di risalita al posto di fruscianti ruscelli - surrende Liftanlagen statt friedlich plätschernder Bächlein,
efficiente servizio a catena al posto dell’idilliaca veduta da cartolina - effiziente Massenabfertigung statt sanfter Postkartenidylle:
Felix Tschurtschenthaler, in modo ironicamente estetico,
rompe con i consueti punti di vista.
Al di là della natura intatta,
abseits von unversehrter Natur, Pulverschnee und Bergfaszination,
indirizza lo sguardo su ciò che non si vorrebbe vedere invitando lo spettatore a guardare più da vicino –
invece che girare lo sguardo da un’altra parte,
so lädt Felix Tschurtschenthaler den Betrachter ein, hinzuschauen statt wegzuschauen.
Bergkultur – cultura d’alta quota.
Text: Dr. Helga Tschurtschenthaler